Der Hilferuf
Hallo, liebe Menschen, ich bin „ Portali“, das Eingangsportal, durch das ihr schreitet, um in das neu gestaltete Teehaus und die Orangerie zu gelangen. Denen sieht man jetzt ihre 300 Jahre nicht mehr an, seit man jahrelang an ihnen gebaut, gewerkelt, geputzt und gestrichen hat.
Mir aber schon. Seit 1712 stehen wir gemeinsam im Altenburger Schlosskomplex und haben schon viel erlebt.
Ach, was für Zeiten waren das und was haben wir alles gesehen?
Junge Mädchen, in wunderschöner barocker Garderobe. Kokettierend drehten sie ihre Schirme, die sie vor der Sonne schützten, beim Flanieren im Park. Unverhohlen und kichernd, machten sie sich über manch schmachtende Blicke junger Männer, lustig.
Ich hatte gerade mein hölzernes Tor ganz weit geöffnet, um Soldaten in den Schlosspark zu lassen. Immer wenn große Festlichkeiten im Schloss anstanden, wurden sie aus der Kaserne beordert, um der Dienerschaft zu Händen zu gehen. Das kam oft vor und war für die Mädchen immer eine willkommene Abwechslung. Da waren schon fesche Mannsbilder dabei.
Welch hektisches Treiben war das immer?
Gerade hatte ich das Tor wieder geschlossen, kamen die Gärtner und karrten auf hölzernen Wagen viele Kübel mit Orangenbäumchen in den Schlossgarten. Der Herzog hatte wieder mal eine Idee und der Hofgärtner musste sie umsetzen. Das ist aber heute, im 21. Jahrhundert sicher nicht anders.
Ich weiß gar nicht mehr wie viel Kübel das waren, mindestens 100. Oder nur 80? Ich kann mich nicht genau erinnern, das war vor mehr als 100 Jahren und da ist es mit dem Erinnerungsvermögen nicht mehr so gut bestellt.
Manchmal taten sie mir schon leid, der Hofgärtner und seine Gehilfen. Im späten Herbst mussten dann alle Kübel wieder in die Orangerie geschleppt werden, um sie vor den nahenden Frost, zu schützen.
Was war das für ein Gefühl, wenn die Pferde durch mein Tor, auf den gepflasterten Weg am Teehaus und Orangerie vorbei, zur Reithalle geführt wurden. Herrlich, diese Geräusche von klappernden Hufen und jetzt?
Jetzt rollen Autos durch mein Tor und ich habe immer Angst, dass mich wieder irgendwer verletzt und ich das Gleichgewicht verlieren könnte. Und der Gestank von Diesel und Benzin, einfach ekelhaft.
Ich schaute zur Orangerie hinüber und erinnerte mich, welch bewegte Zeiten die auch schon hinter sich gebracht hatte.
Wir sind gerade 240 Jahre geworden, da zogen ältere Menschen in Scharen, zu ihr.
Volkssolidarität nannte sich das wohl, die sich die Orangerie zu einen Senioren Klub her gerichtet hatten. Es war ein Verein mit tausenden Mitgliedern und viele davon kamen jeden Tag. Sie aßen gemeinsam Mittag, sangen zusammen und tanzten mehrmals in der Woche.
Ich erinnere mich noch an eine blutjunge Frau, wie gesagt, ich war schon 240 Jahre und sie vielleicht 58. Alle Besucher dieses Vereins kannten sie, die Frau? Frau? Frau? Na ich komme noch drauf, sie nannten sie nur beim Vornamen und an den kann ich mich erinnern,… Helga.
Ich sehe noch die Leute vor mir, sie konnten gar nicht schnell genug in den Klub gehen, wenn die Mittagszeit heran war. Wehe es saß schon jemand auf deren angestammten Platz, dann ging ein Streit los und beruhigte sich erst, als Helga mit erhobenem Zeigefinger dazwischen ging. Dann huschte ein Lächeln über deren Gesicht, sie nahm ihr Schifferklavier zur Hand und los ging`s. Sie spielte und sang ihren Gästen was vor und alle sangen mit. „Auf der Reeperbahn nachts um halb Eins“. Hans Albers wäre neidisch geworden. So ging es fast jeden Tag.
Bis 1992, dann wurde es still, ganz still.
Vor allem, um mich.
Jetzt schauen Teehaus und Orangerie geringschätzig zu mir herüber. Als gehöre ich nicht mehr zu ihnen. Na klar, sie sind ja schön heraus geputzt wurden, bloß an mich hat keiner gedacht. Mein Aussehen ist nicht mehr mit ihnen zu vergleichen. Wenn ich deren spöttischen Blicke spüre, könnte ich vor Wut meine Vasen vom Sockel schmeißen.
Ich komme mir vor, wie Menschen, die auf andere herabschauen, nur weil diese es sich nicht leisten können, in Markenartikeln herum zu laufen.
Gehen doch im September des vergangenen Jahres vier Schulmädchen an mir vorbei. Sie kamen aus der Schule, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft befindet. Drei von ihnen, machten sich über das vierte Mädchen lustig, weil diese eine Jeanshose trug, die sie schon vor den Ferien getragen hatte. Nein, nein, sauber war die Hose schon, aber nicht von einer Markenfirma und das war Ausdruck für Armut.
Mir geht es ja zu Zeit auch nicht anders.
Kaum jemand beachtet mich und wenn, dann nur um zu sagen, was man von mir hält.
Erst neulich habe ich ein Gespräch gehört, als Menschen im Teehaus ihre Hochzeit gefeiert haben. Viele von ihnen schauten vom Altan des Teehauses auf mich herunter und ihre Bemerkungen verletzten mich.
„ Na schaut euch doch das alte Wrack an, hoffentlich fällt es nicht um, wenn wir beim feiern, die Musik lauter drehen.“
Die haben ja recht, der alte Baum neben mir der buddelt seine Wurzeln unter mein Fundament, dass ich mich kaum noch halten kann. Der findet sich wichtiger als ich und denkt, er sei der Mittelpunkt.
Ich kann nicht von mir behaupten glücklich zu sein. Überall zwickt es, bei mir bröckelt förmlich der Putz ab und die Sandstein Vasen auf mir, drücken bald die Ziegelsteine aus meiner rissigen Haut.
Na ja, das Teehaus und die Orangerie haben Glück gehabt. Hätte es 2004 nicht Menschen gegeben die sich zu einem Verein zusammengeschlossen haben, die verhindern wollten, dass es beiden so geht, wie mir jetzt. Den Zweien regnet es zwar nicht mehr ins Körperinnere, aber sie tragen vor Stolz die Nasen so hoch, dass es ihnen bald hinein regnet.
Jetzt aber habe ich wieder Hoffnung. Meine Pflegeeltern haben mir versprochen, dass ich auch bald wieder schön aussehen werde und denen kann man vertrauen. Kurz vor meinem dreihundertsten Geburtstag haben sie versprochen, sich um das Äußere unseres Komplexes zu kümmern und da gehöre ich ja dazu.
Ach ihr kennt die gar nicht?
Das ist der neue Teehaus Altenburg Förderverein e. V., den kennt eigentlich Jeder und dessen Chef ist jetzt auch mein Chef, nur damit ihr wisst, mit wem ich mich immer unterhalte.